Tausende Stromnutzer in Deutschland wurden mit einem großen Problem konfrontiert: Ihnen ist plötzlich der laufende Stromvertrag gekündigt worden. Auch bei MANN Naturenergie haben sich betroffene Verbraucher gemeldet, die dringend einen neuen Anbieter brauchen. Was ist da los? „Was wir jetzt seit September neu beobachten, sind ,sehr kreative‘ Möglichkeiten, um sich Kunden zu entledigen, mit denen man keinen Gewinn macht“, kritisiert Louis-F. Stahl, Chefredakteur der „Energiedepesche“ und Vorstandsmitglied im Bund der Energieverbraucher.
Die Methoden seien in den allermeisten Fällen nicht zulässig, betont Stahl. Unberechtigte Kündigungen ohne Einhaltung einer Frist zum Beispiel. „Die Verbraucher fallen dann bestenfalls in die Grundversorgung, die aber natürlich besonders teuer ist. Und weil bekannt ist, dass so Schadenersatzforderungen entstehen können, haben einige Energieversorger einen interessanten Trick angewendet: Sie haben den Bilanzkreis mit den Verteilnetzbetreibern gekündigt. Damit haben sie keine Möglichkeit mehr, die Energie durch das Verteilnetz zum Kunden zu ,bringen‘ und berufen sich auf die Unmöglichkeit der Belieferung.“
Es gebe zudem Anbieter, die einfach die Abschlagszahlung verdreifachten, um sich Liquidität zur Vermeidung einer Insolvenz zu verschaffen. „Es geht also um drei Aspekte: unberechtigte Kündi- gungen, künstliche Herbeiführung der Unmöglichkeit über Bilanzkreisauflösung und unberechtigte Erhöhung der Abschlagszahlungen“, fasst der Experte zusammen.
Für den Kunden ergeben sich dadurch oftmals noch weitere Probleme. So weigerten sich etwa manche Grundversorger – in der Regel der Anbieter, der vor Ort die meisten Haushalte versorgt –, betroffene Verbraucher aufzunehmen. Bei der Ersatzversorgung, die als letzte Möglichkeit greift, muss das Grundversorgungsunternehmen in jedem Fall liefern. Doch auch bei dieser Leistung verweigern sich viele Anbieter. Während der Energieversorger jedoch die Grundversorgung ablehnen darf, wenn dies wirtschaftlich nicht zumutbar ist, ist die Weigerung, Ersatzversorgung zu gewährleisten, nicht zulässig, gibt Stahl zu bedenken. Dadurch komme es natürlich oft zu „juristischen Scherereien“. Dies sind jedoch nicht die einzigen Benachteiligungen. „Es gibt auch Grundversorger, die zwei Tarife machen: einen für die Bestandskunden mit günstigen Konditionen und einen für die Neukunden – mit exorbitant hohen Preisen.“
Grund für die Massenkündigungen seien vor allem gestiegene Einkaufspreise an den Energiemärkten. „Das ist für Beteiligte schwer nachzuvollziehen, weil es nicht den einen Auslöser gibt, sondern eine Vielzahl an Punkten, die zusammentreffen und zu einer Preisexplosion geführt haben“, erläutert Louis-F. Stahl. Doch die rasant erhöhten Marktpreise – insbesondere jene für die kurzfristige Beschaffung – führten eben bei vielen Energieunternehmen zu zwei klassischen Reaktionen: Preiserhöhungen und Kündigungen.
Auch an MANN haben sich viele Betroffene hilfesuchend gewendet, darunter nicht wenige, die zuvor Kohle- und Atomstrom bezogen haben. Generell sei das Interesse an „grüner Energie“ in der Bevölkerung inzwischen stark verbreitet, ist Stahls Eindruck. Ebenso bemerke er, dass sich die Menschen über „Greenwashing“ immer bewusster würden. So können sich Energieversorger zum Beispiel „Herkunftsnachweise“ ganz einfach im In- und Ausland kaufen und so ihr Produkt – auch Atom- und Kohlestrom – als „Ökostrom“ labeln. Die Verbraucher schauten mittlerweile aber viel genauer hin, wendet Stahl ein: „Sie erkennen, dass solche Ökotarife gar nichts bringen und die Energiewende nicht voranbringen.“
Doch was können Verbraucher, die einen neuen Anbieter suchen, überhaupt tun, um zu erkennen, ob ein Ökoanbieter wirklich ein seriöses Produkt vertreibt? „Beim Bund der Energieverbraucher empfehlen wir, sich den Versorger genau anzuschauen. Denn das allgemeine Handeln dieses Unternehmens kann starken Einfluss darauf haben, wie viel erneuerbarer Strom erzeugt wird“, betont Stahl. „Es gibt Energieversorger, die selbst grüne Kraftwerke bauen, also zum Beispiel Biomasse- oder Photovoltaikanlagen oder auch Windkraftanlagen, und die so für einen Teil ihrer Verbraucher den Strom selbst erzeugen beziehungsweise mit dem faktischen Bau grüner Erzeugungsanlagen für die Verdrängung von Atom- und Kohlestrom sorgen.“ So wie es bei MANN ist: Angefangen vom Biomasseheizkraftwerk der zur MANN-Firmengruppe gehörenden „Westerwälder Holzpellets“, in dem tagtäglich Grünschnitt verfeuert wird, über den Einsatz für ältere Windkraftanlagen (die „Wäller Energiezeitung“ berichtete), bis hin zu den elektrisch betriebenen Firmenwagen – die natürlich auf dem MANN-Gelände mit eigenem, hundertprozentigem Ökostrom geladen werden.
Das „grüne Gewissen“, hebt Stahl hervor, sollte allerdings nicht allein durch einen Ökostromanbieter beruhigt werden. „Man muss selbst das Zepter in die Hand nehmen, sich etwa an einem Bürgerwindpark beteiligen, eine Photovoltaikanlage aufs Dach bauen lassen und vielleicht die fossile Heizung rauswerfen, gegebenenfalls, wenn der neue Autokauf ansteht, nicht mehr auf ein Verbrennungsfahrzeug setzen. Da haben Menschen wirklich die Möglichkeit, durch taktisches Handeln die Welt zu verbessern.“
Und dies ist dringend nötig. Denn in der aktuellen Situation zeigt sich nicht zuletzt, dass Deutschland mit dem Ausbau regenerativer Energiequellen noch immer nicht schnell genug vorankommt. Stahl bemängelt, dass die Energiewende von der Politik regelrecht „abgewürgt“ wurde, zunächst die Förderung der Solarenergie und zuletzt auch die Windkraft. „Hätten wir diese Erzeugungsleistung aus Wind und Sonne jetzt zur Verfügung, könnte man sich auch über Stromspeicherung Gedanken machen“, wirft er ein. Der Fachmann geht davon aus, dass uns der mangelnde Ausbau der erneuerbaren Energien sowohl finanziell als auch in Hinblick auf die Energiewende und das Erreichen der Klimaschutzziele „komplett auf die Füße fallen“ wird. Es müsse daher ein großes Umdenken stattfinden.
„Es liegt an der jetzigen Regierung, die Versäumnisse aufzuholen. Und wir werden doppelt so schnell arbeiten müssen.“ Der Ausbau regenerativer Energien habe nur Vorteile. Dies könne man sogar in Hinblick auf Situationen wie die aktuelle Not in der Energiewirtschaft erkennen. Denn die Energiewende sorge nicht zuletzt für eine Umstrukturierung von einer zentralisierten zu einer dezentralisierten Stromwirtschaft mit vielen kleinen Erzeugern – „die dann auch resilient auf Herausforderungen reagieren können.“
Andra de Wit