Vor einer Woche ist Lucas Benten noch auf der olympischen Distanz beim „Löwentriathlon“ in Freilingen gestartet, einem „richtigen“ Triathlon. Doch heute macht er beinahe einen deutlich „kaputteren“ Eindruck – obwohl nicht einmal eine Zeitnahme stattfindet. Benten ist eines von vier Mitgliedern des von „MANN Naturenergie“ gesponsorten „MANNschaft e. V.“, die zum „1. integrativen Triathlon“ in Hausen gekommen sind. Um jenen zu helfen, die ihn nicht alleine bewältigen können. Gerade geht er auf die Radstrecke des Wettbewerbs – allerdings mit einem besonderen Fahrrad. Und zu zweit.
„Ich glaube, heute ist es hier für fast jeden Teilnehmer eine echte Herausforderung gewesen – aber es hat eigentlich jeder sehr gut hinbekommen“, wird Benten am Ende eines herrlich fröhlichen, bunten Vormittags sagen. Denn der integrative Triathlon im und um das „Wiedtalbad“ in Hausen, zu dem der „Integrative Sportverein Heinrich-Haus“ eingeladen hat, will genau das: verbinden, Spaß an der Bewegung wecken und erhalten, Menschen mit ganz unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Fitnessleveln einfach ein positives Erlebnis ermöglichen und dabei Vielfalt und Miteinander fördern.
„Sport verbindet – gemeinsam ans Ziel“ ist das Motto, unter dem Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam an diesem Ereignis teilnehmen. Wer eine Pause braucht, nimmt sie sich – kein Problem, anders als sonst in unserer leistungsorientierten Konsumgesellschaft.
Gunnar Clemens arbeitet beim „Heinrich-Haus“, das in Neuwied, Bendorf-Sayn, Höhn, Kettig, Koblenz und St. Katharinen rund 2.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene begleitet und fördert. Die gemeinnützige GmbH gehört wiederum zur Gruppe der „Josefs-Gesellschaft“. Das katholische Unternehmen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft beschäftigt nach eigener Darstellung mehr als 10.000 Mitarbeiter und ist Träger von 38 Beteiligungsgesellschaften für Menschen mit Behinderungen, Senioreneinrichtungen und Krankenhäusern.
Darunter die Werkstätten für behinderte Menschen in St. Katharinen. Clemens ist dort Werkstattleiter – und in der Freizeit ebenso Mitglied der „MANNschaft“ wie Lucas Benten. Der Hobby-Triathlet hatte die Idee zum integrativen Wettbewerb in Hausen. Er berichtet, dass man erst acht Wochen zuvor in die finale Vorbereitung des Tages eingetreten sei. „Und wir haben gehofft: vielleicht kommen 60, 70 Teilnehmer – und jetzt haben wir stolze 150 hier! Das ist total überwältigend“, strahlt Clemens.
Die 150 Sportler sind bereits während des Aufwärmens zu Musik wahrlich mit Feuereifer bei der Sache. Gestartet wird anschließend in sechs Gruppen, die erste ist gerade am Schwimmbecken: 50 Meter sollen zurückgelegt werden, also zwei Bahnen in dem Freibad im Wiedtal, das aus diesem Anlass einen ganzen Tag lang für die Öffentlichkeit geschlossen ist. Aber wer weniger schafft, sich unterwegs mal am Beckenrand festhalten muss oder eine Schwimmhilfe benötigt, soll diese Disziplin genauso absolvieren dürfen.
Wie begeistert die jungen Sportler ins Wasser hüpfen! Vom ersten Zug an herrscht eine unglaublich fröhliche, leichte Stimmung am und im Becken, wiewohl hier zum Teil Menschen Meter um Meter im Wasser zurücklegen, in deren Alltag aus Sicht Nichtbehinderter manches eher schwer sein muss.
Gekommen sind Schüler der Wilhelm-Albrecht-Schule aus Höhn, in der die ganzheitliche und motorische Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung im Vordergrund steht. Ebenso macht die Grundschule Kroppacher Schweiz mit, die in Kroppach ihren Sitz hat. Schüler, die sonderpädagogische Förderung im Bereich der körperlichen sowie motorischen Entwicklung benötigen und die Christiane-Herzog-Schule in Neuwied-Engers und Bendorf-Sayn besuchen, stehen gleichermaßen in Hausen am Start. Ebenso Sportler aus der Werkstatt für behinderte Menschen in Neuwied-Engers. Aktive der zum „Heinrich-Haus“ gehörenden „mittelrhein Logistik“ und der Werkstatt St. Katharinen sind zudem dabei. Auch ist die dortige Grundschule im „Wiedtalbad“ vertreten – mit über 30 Kindern!
Aus Asbach sind Schüler der Albert-Schweitzer-Schule angereist. Sie seien gekommen, „weil wir das eine super Aktion finden“, schildert Dirk Schneider-Wüst, Lehrer in Asbach. Die Einrichtung ist eine „Förderschule Lernen“ und mit zwölf Aktiven zwischen 13 und 15 Jahren am Triathlon beteiligt.
„Wir wollten das Event auf jeden Fall unterstützen, auch wenn dazu ein gewisser organisatorischer Aufwand nötig ist: beispielsweise, wie die Fahrräder der Kinder hier her kommen“, sagt Schneider-Wüst, der vor allem im Englisch- und Werkunterricht tätig ist. „Bewegung ist ein Thema in der heutigen Medien- und Handyzeit. Und wenn man die Kinder zur Bewegung animieren kann, dann nehmen wir jede Gelegenheit wahr – unabhängig von der körperlichen Leistungsfähigkeit.“ Die abwechslungsreiche Strecke halte er für attraktiv für die Schüler, ergänzt der Pädagoge.
Der größte Unterschied zu einem „normalen“ Triathlon? „Heute ist es komplett entschleunigt!“, beschreibt Lucas Benten. „Wir von der ‚MANNschaft‘ unterstützen die, die die Radstrecke nicht alleine fahren können. Man merkt an jeder Stelle, dass der Fokus nicht auf Zeit liegt, sondern auf Spaß. In ‚normalen‘ Wettkämpfen, an denen wir sonst teilnehmen, ist alles total ehrgeizig. Verbissen versuchen alle, in der kürzesten Zeit ins Ziel zu kommen. Heute geht es darum, sich zu freuen und einfach irgendwie die Distanz zu überwinden.“
Die beträgt 50 Meter beim Schwimmen, zweimal 500 Meter auf der Laufstrecke und zwei Kilometer per Fahrrad. Oder eben mit dem Rollstuhl, E-Scooter oder Dreirad. Auf dem hat gerade Christian Geimer Platz genommen, um mit einem jungen Mann auf die Distanz zu gehen, der aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, mit einem „normalen“ Fahrrad das Gleichgewicht zu halten und einfach alleine loszustrampeln.
Geimer ist ein sehr erfolgreicher Triathlet, hat das „MANNschaft“-Trikot bereits bis zur Weltmeisterschaft der Triathleten auf der Langdistanz getragen. Er arbeitet im Möbelhaus Hüsch, das Hauptsponsor der Veranstaltung ist (auch der Rotary Club Remagen-Sinzig sowie die Raiffeisenbank Neustadt und die Sparkasse Neuwied haben sich eingebracht), so dass die Teilnahme für alle komplett kostenlos und am Ende auch für Medaillen und T-Shirts für alle „Finisher“ gesorgt ist.
Einen Kilometer von der Wechselzone Laufen-Radfahren entfernt liegt kurz vor Niederbreitbach der Wendepunkt. Bis dahin muss Christian Geimer seinen Passagier befördern – und natürlich wieder zurück. Darum sind die Triathleten der „MANNschaft“, wiewohl sie sportliche Anstrengung doch gewohnt sind, am Ende durchaus erschöpft: Sie treten zumeist für zwei in die Pedalen und müssen nicht nur das eigene, sondern ebenso das Gewicht des schweren Untersatzes und des Triathleten auf dem Sitz neben sich vorantreiben.
Aber „auf jeden Fall“ wäre er erneut dabei, wenn abermals eine solche Veranstaltung stattfinden würde, betont Lucas Benten sofort. Er hat sich, wie die anderen „MANNschaftler“, freiwillig gemeldet, um denen zu helfen, die dieser Hilfe bedürfen. Dafür hat er sogar einen Tag Urlaub im Betrieb genommen.
„Ich finde, es ist eine gute Sache hier. Das Integrative, das Zusammenführen von Kindern aus ‚normalen‘ Grundschulen mit Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen gefällt mir super“, unterstreicht Benten. „Ich freue mich sowieso über jeden, der irgendwie Sport macht – egal, was er macht! Ich freue mich darüber, wenn sich jemand bewegt – selbst wenn er nur spazieren geht. Und wenn man heute nur in zwei Teilnehmern die Begeisterung geweckt hat, nicht nur ins Wasser zu gehen, um sich abzukühlen, sondern auch mal zur anderen Seite zu schwimmen, das Gefühl, anzukommen zu erleben, ist das doch eine super Sache, oder?“
Einige bewältigen den Triathlon als Staffel: eine Teilnehmerin schwimmt, eine läuft, eine radelt. So macht es die Christiane-Herzog-Schule, erklärt Maria Marquardt: „Wir wurden zur Veranstaltung eingeladen – und haben schnell ‚ja‘ gesagt. Bei uns wird Sport eh sehr unterstützt, und wir sind vor allem wegen der Freude gekommen, die wir allesamt daran haben“, so die Erzieherin der Schule, die insgesamt drei Standorte in Engers und Sayn hat. „Ankommen war das Ziel für alle von uns.“
Marquardt erzählt, dass einmal pro Woche eine Stufe der Christiane-Herzog-Schule ins „Wiedtalbad“ fahre, nachdem das eigene vor vier Jahren geschlossen worden sei (siehe auch „Eine wertvolle Erfahrung: alle können etwas“). Der Veranstaltungsort des Triathlons ist diesen Schülern also vertraut.
Lucy hat dort inzwischen die Ziellinien passiert, zeigt stolz ihre Urkunde und ihre Medaille. „Neee“, antwortet sie auf die Frage, ob der Triathlon für sie sehr anstrengend gewesen sei. Was ihr am besten gefallen habe? „Schwimmen!“, entfährt es der jungen Sportlerin sofort. „Ja, ich mag gerne Schwimmen“, fügt sie an. Obwohl, das gesteht sie lachend, ein bisschen kalt sei das Wasser schon gewesen… „Aber ich habe mich getraut“, strahlt Lucy über das ganze Gesicht. Das sei ein wunderbares Gefühl.
Uwe Schmalenbach