„Ich wünsche den Kindern und Erwachsenen in der Ukraine, in Israel und am Gaza-Streifen Frieden“: So steht es auf einer der bunten Friedenstauben. Eine ganze Menge davon – rote, blaue, grüne, welche in Pink und Violett – haben Sechstklässler der IGS, der „Integrierten Gesamtschule Selters“ noch an diesem Morgen aus Tonkarton gebastelt. Jetzt hängen sie sie in die etwa zehn Jahre alte Linde, bevor diese gleich in ein vorbereitetes Loch auf dem Schulhof gepflanzt werden wird und die Krone nicht mehr ohne Weiteres erreichbar wäre.
Den Baum hat „MANN Naturenergie“ gestiftet (ebenso wie jenen für die „Stöffelmaus-Schule“). „Bewusst als Friedenslinde“, wie Geschäftsführer Markus Mann betont. Er hatte sich als Jurymitglied beim „Wäller Gartenpreis“ 2022 und 2023 engagiert und die Idee, den im letztjährigen Wettbewerb erfolgreichen Schulen solche symbolträchtigen Pflanzen zu schenken.
Darunter eben die IGS: Zwei Jahre in Folge (2022 und 2023) bewarb sie sich mit ihrem Schulgartenprojekt beim von der Westerwälder Regionalinitiative „Kräuterwind“ ins Leben gerufenen „Wäller Gartenpreis“ – und das siegreich: Im ersten Jahr zeichnete die Jury das Projekt bereits einmal aus. 2023 war die Konkurrenz durch üppigste Zier- und vielfältigste Naturgärten so groß, dass das Gremium befand, dass man die Beiträge von Kindergärten und Schulen eigentlich aus dem Gesamtfeld herausnehmen und fairerweise getrennt bewerten müsse. Den Fleißigen hinter drei Beiträgen, die den Juroren am besten gefielen, sagte „MANN Naturenergie“ daraufhin zu, ihnen jeweils eine große Friedenslinde fürs Schulgelände zu schenken.
Es ist allerdings nicht der erste Baum, den die Schüler in Selters erhalten: 2022 durften sie sich, ebenfalls von „MANN Naturenergie“ gesponsert, einen Obstbaum für ihren Schulgarten aussuchen; es wurde ein Apfelbaum. Er steht heute in dem 700 Quadratmeter großen Areal in Selters. Die Fläche dafür wurde den Schülern im Rahmen des Neubaus der IGS zur Verfügung gestellt.
2019 ging es in diesem IGS-Schulgarten los. Seither wird dort unter anderem Gemüse angebaut, es wachsen Wein, Erd- und Brombeeren, Kräuter und vieles mehr. „Aber bei uns wird nicht nur angebaut, sondern auch vermittelt, warum man das macht, wie man es macht,“ erläutert Lehrer Andreas Lief, der das Projekt betreut, den didaktischen Hintergrund. Inzwischen sei es so, dass regelmäßig Jahr für Jahr die fünften Klassen im Schulgarten aktiv sind und ebenso entsprechende Arbeitsgemeinschaften. Im Wahlpflichtfach Hauswirtschaft/Soziales sei Kochen ein Bestandteil, führt Lief aus. Die genaue Ausgestaltung des Unterrichtsinhaltes sei zwar lehrerabhängig, aber eine komplette Schulküche erlaube es, das selbstgeerntete Gemüse direkt zuzubereiten. „Teilweise wird das Gemüse auch direktvermarktet, an Lehrer oder Eltern verkauft, so dass nicht nur die Produktion im Vordergrund steht, sondern es ebenso darum geht, wie man das Gemüse verwertet“, fügt Lief hinzu.
„Die Menschen haben sich schon immer gekloppt und Kriege geführt – schon immer, leider! Und erst, wenn Frieden herrscht, erkennt man dessen Wert“, beschreibt Markus Mann während der Pflanzaktion den anwesenden Schülern, was er sich bei der Friedenslinde für den Schulhof gedacht hat. „So wurde anlässlich des Endes des Krieges 1870/71 – da haben wir Deutschen uns mit den Franzosen gekloppt – an vielen Orten Linden gepflanzt“, erklärt der Energiepionier aus Langenbach bei Kirburg. „Mich haben dann damals, als ich mit der Schule einen Ausflug gemacht habe nach Daun in der Eifel, riesige Bäume beeindruckt, die dort an der Jugendherberge neben einer alten Burg standen. Die stammten aus den besagten Jahren 1870/1871 und waren seinerzeit ebenfalls als Friedenslinden gepflanzt worden.“ Die Erinnerung daran sei für ihn immer imponierend gewesen, erstens aufgrund des Alters, das so ein Baum erreichen kann, „und ebenso wegen der Bedeutung hinter der Pflanzung“, ergänzt Mann. „Dass Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, tut richtig weh. Und deshalb wollen wir heute hier in Selters ein Zeichen setzen.“
Die Schüler scheinen den Gedankengang nachvollziehen zu können. Ohnehin sind sie nicht unvorbereitet zur Pflanzaktion gekommen: „Wir hatten zwar eigentlich gerade ein ganz anderes Thema“, schildert Marius Colloseus, „aber haben die Idee hinter der Friedenslinde spontan in den Unterricht aufgenommen. Es gibt aktuell genug Regionen auf der Erde, wo eben kein Frieden herrscht. Wir wollten ein bisschen Licht ins Dunkel bringen, dem Baum ‚Leben einhauchen‘ und die Friedenstauben einsetzen.“
Colloseus unterrichtet den katholischen Religionskurs der sechsten Klasse an der IGS. Seine Schüler, unterstreicht der Pädagoge, wüssten bestens Bescheid über das (unfriedliche) Weltgeschehen; die meisten Friedenswünsche der Kinder richteten sich an Israel, Gaza und die Ukraine – so, wie es auf den Tauben in der Baumkrone auch zum Ausdruck gebracht wird. Das aktuelle Geschehen bewege junge Menschen ebenfalls, bestätigt der Religions- und Englisch-Lehrer. Im Anschluss an die Pflanzung wolle er das Thema in der Klasse darum weiter vertiefen.
„Jaaaaa!“, nicken viele der Schüler, die bei der Baumpflanzaktion in erster Reihe dabei sind, mithelfen, die wuchtige Pflanze in das ausgehobene Loch zu bugsieren: einen Baum haben sie in ihrem Leben schon einmal gepflanzt – meist im elterlichen Garten. Manche der Kinder erzählen, dass sie Apfelbäume und andere Obstarten als Geschenk erhalten haben, oft zu einem Geburtstag. Alle finden es „cool“, dass nun ein wirklich schon recht großer neuer Baum den ansonsten eher grauen Schulhof mit frischem Grün ziert – und im Sommer sicher ein guter Schattenspender in mancher Pause sein wird.
„Es wäre schön, wenn ihr im heißen Sommer einen Blick auf euren Baum habt und der eine oder andere auch mal einen Eimer Wasser für ihn auskippt – denn gerade am Anfang hat der Baum es schwer, selbst Wasser auf so einer Fläche zu finden, wie sie hier auf dem Schulhof vorhanden ist“, gibt Markus Mann den Schülern mit auf den Weg und lässt den Blick über das graue Verbundsteinpflaster wandern.
Der Chef von „MANN Naturenergie“ ist merklich gerührt, dass die Schüler die Baumpflanzung so intensiv begleiten und mit ihrem eigenen Programm anreichern – von den gebastelten Tauben bis zu mehreren vorgetragenen Liedern, darunter das überaus passende „Friedensbaum-Lied“, geschrieben von Philipp Stegmüller: „Wir alle sind Kinder von einem großen Stamm/wie Blätter an einem alten Friedensbaum“, heißt es darin.
Der Religionskurs von Marius Colloseus hat außerdem einige Fürbitten vorbereitet, die die Kinder verlesen: „Ich wünsche mir, dass es keinen Krieg mehr gibt und keine Armut“, heißt eine davon. „Ich wünsche der Ukraine Frieden!“, eine andere. Oder: „Ich wünsche allen auf der ganzen Welt Frieden.“ Der Lindenbaum auf dem IGS-Schulhof wird die Schüler gewiss täglich daran erinnern, dass auch sie sich jeden Tag aktiv für den Frieden einsetzen können und sollten.
Uwe Schmalenbach