Am westlichen Rand des „Solarparks Bornscheidt“ fallen auf einige Zellen selbst im Hochsommer schon um drei Uhr nachmittags Schatten, die benachbarte Laubbäume werfen. Dessen ungeachtet produzieren die insgesamt ungefähr 8.000 Photovoltaik-Module, die hier verbaut sind, ein Maximum von jährlich zweieinhalb Millionen Kilowattstunden (kWh) „grünen“ Sonnenstrom, was in etwa dem Bedarf von 2.400 Menschen entspricht. Ein ganz neues Kooperationsmodell dreier unterschiedlicher, regionaler Partner, das jetzt vorgestellt worden ist, sorgt dafür, dass die mit der Anlage erzeugte, umweltfreundliche Energie einem heimischen Industriebetrieb zur Verfügung steht.
„Ein Planet wird geplündert“, das 1975 erschienene Buch von Herbert Gruhl, sei einer der Auslöser gewesen, sich mit erneuerbaren Energien zu beschäftigen, erinnert sich Friedrich Hagemann. „Damals dachte ich: ‚Oh, hoppla, du musst in diese Materie einsteigen.‘ Und dann stieß ich Anfang der 1980er-Jahre recht schnell auf das seinerzeit aufkommende Thema CO2- und Methan-Ausstoß. Und mir war klar, dass der nicht ohne Schaden für den Planeten sein würde“, blickt Hagemann zurück.
Heute ist der Direktor des Amtsgerichts im Ruhestand Vorsitzender des Aufsichtsrates der „Maxwäll-Energie Genossenschaft eG“. Gegründet 2012, betreiben die in dem Zusammenschluss organisierten gut 500 Mitglieder insgesamt fünf Solarparks, die zusammen die Strommenge für rund 6.000 Menschen liefern.
Dazu gehört der „Solarpark Bornscheidt“ in Wissen/Sieg. Im benachbarten Areal „Auf der Bornscheidt“ waren im schrecklichen Zweiten Weltkrieg Zwangsarbeiter, die zur Arbeit im örtlichen Walzwerk, in den Gruben der Region und als Hilfskräfte in Privathaushalten gezwungen wurden, in Holzbaracken untergebracht. Ein Mahnmal erinnert an jene finsteren Zeiten. Doch in der Gegenwart ist dieser Flecken eher idyllisch: Der Sommerwind säuselt sanft durch besagte Laubbäume, der Solarpark ist eingebettet zwischen Sieg und zwei Tennisanlagen. Entspannte Schafe auf dem Gelände „pflegen“ das Grün, das die Photovoltaik-Module umgibt.
Diese besichtigen gerade Markus Mann, Geschäftsführer von „MANN Naturenergie“, der Strom-Abteilungsleiter des Unternehmens, Thomas Solbach, sowie Hartmut und Florian Goerg, die das in der Gewinnung und Aufbereitung tonkeramischer Rohstoffe tätige Unternehmen „Goerg & Schneider“ in Boden besitzen und leiten. Die „vierbeinigen Gärtner“ beobachten das Grüppchen, das Friedrich Hagemann gemeinsam mit „Maxwäll“-Vorstand Gerd Stein umher führt, derweil aus sicherer Entfernung.
Mann, Solbach, Vater und Sohn Goerg besuchen die Anlage, weil sie mit der Genossenschaft von Hagemann und Stein eine bemerkenswerte Kooperation vereinbart haben, die im nördlichen Rheinland-Pfalz wohl ein absolutes Novum ist: Der im Solarpark von „Maxwäll“ mit der Kraft der Sonne erzeugte Ökostrom wird seit April von der „Goerg & Schneider GmbH“ genutzt, die damit keramische Rohstoffe fördert und weiterverarbeitet (siehe Seite 5).
Dazu wurde ein 15 Jahre lang laufendes PPA, ein „Power Purchase Agreement“ geschlossen, was sich wohl am treffendsten als „Stromkaufvertrag“ übersetzen lässt. So steht zum einen einem regional tätigen Unternehmen in der Westerwälder Heimat erzeugte elektrische Energie aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung.
Zum anderen bringt sich „MANN Naturenergie“ bei dieser nachahmenswerten Partnerschaft als ausgleichendes Bindeglied zwischen Erzeuger und Verbraucher ein: Liefert der Solarpark in Wissen vorübergehend zu wenig Strom für den Momentan-Verbrauch von „Goerg & Schneider“, gleicht der Langenbacher Energieversorger den Mangel über seinen eigenen Bilanzkreis aus – und zwar ausschließlich mit ebenfalls physikalisch gekoppeltem Ökostrom, der aus Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie aus fester Biomasse gewonnen wird. Damit ist ganzjährig und witterungsunabhängig garantiert, dass die von „Goerg & Schneider“ benötigten Strommengen jederzeit als echter Ökostrom zur Verfügung stehen (und nicht nur kaufmännisch-bilanziell „auf dem Papier“) – gleich, ob er gerade im Solarpark entsteht oder aus den anderen Quellen kommt.
Umgekehrt ist „MANN Naturenergie“ in der Lage, einen etwaigen Überschuss aus den Solarzellen der Energie-Genossenschaft aufzunehmen und über den eigenen Bilanzkreis an andere Kunden weiterzuleiten. Das ist eine sinnvolle Lösung, denn der Solarstrom wird schließlich nicht immer in exakt der Minute bei „Goerg & Schneider“ gebraucht, wenn er gerade anfällt beziehungsweise nicht die komplette Menge – am Wochenende zum Beispiel, wenn die Sommersonne zwar kräftig auf die nahe Sieg und ebenso die 8.000 Module der Genossenschaft scheint, doch die Anlagen im Werk in Boden ruhen.
Schwankungen bei der Stromerzeugung in Wissen werden demnach in Momenten der Überproduktion ebenso wie in Phasen des Mangels von MANN ausgeglichen. „Wir wollen mit diesem Projekt in gewisser Weise auch einen Startschuss geben“, betont Markus Mann. So könnten künftig zahlreiche Unternehmen von ähnlichen Kooperationen, von solchen PPA, profitieren. „Ganz gleich, ob sie die PV-Anlage auf dem eigenen Dach mit direktem Kabel zu ihren Stromverbrauchern haben und eine Restmenge übrig ist, die sinnvoll genutzt werden soll. Oder die Variante, wie wir sie hier haben: Die Anlage steht etwas entfernt, der Strom geht über das öffentliche Netz und landet am Ende beim Kunden und wird auf die Viertelstunde genau bilanziell abgerechnet.“
„Wir sind ein energieintensiver Betrieb, der knapp vier Millionen kWh Strom im Jahr benötigt“, entgegnet Florian Goerg auf die Frage, warum sich das Unternehmen zum Vertragsschluss mit „Maxwäll“ und „MANN Naturenergie“ entschieden habe. „Zum einen sind wir auf die Versorgungssicherheit angewiesen, aber ebenso auf die Wirtschaftlichkeit der nachhaltigen Nutzung regionaler Energie.“
Gerd Stein bekam seine erste private Photovoltaik-Anlage 2003, wie er erzählt. „Da war ich infiziert.“ Er baute vier Anlagen selbst! Ursprünglich habe er mit einigen Gleichgesinnten Windräder zur Stromerzeugung aufstellen wollen. „Doch wegen der Naturromantiker hat das nicht funktioniert“, führt der als Lokführer Arbeitende aus. „Ich wollte nie Vorstand der Genossenschaft werden – es ist viel Stress, zuweilen schlaflose Nächte“, zwinkert er. Den Job bei der Bahn hat Stein inzwischen auf eine halbe Stelle reduziert, um sich mehr um den Strom aus Sonne kümmern zu können.
„Ich kann vieles, aber nichts richtig“, lacht er und berichtet, dass er sich mitunter ebenso selbst um die Buchführung gekümmert, doch genauso Wechselrichter in Solarparks ausgetauscht habe. „Im ersten Park der Genossenschaft habe ich sieben Kilometer Kabel erneuert!“ Er wolle nicht so sein, wie andere, die sich in Umweltbewegungen organisieren „und nur sagen: ‚Dat will ich nicht, dat will ich nicht‘ – aber Alternativen schaffen sie keine. Auf die Straße gehen und demonstrieren, ist einfach! Uns geht es darum, selbst Veränderungen herbeizuführen.“ So wie jetzt beim Vertrag mit der Firma „Goerg & Schneider“, die den Genossen den Strom zum garantierten Preis abnehmen und damit zugleich die Energiewende voranbringen.
Unterhalb der Böschung, über der die Photovoltaik-Module des „Solarparks Bornscheidt“ gerade tausendfach in der Sommersonne blitzen, donnert ein Zug auf der Sieg-Strecke vorbei. So, wie die Bahn Köln mit Siegen verbindet, fungiert „MANN Naturenergie“ bei diesem PPA als Brücke zwischen den stromerzeugenden Energie-Genossen und der „stromhungrigen“ Produktion der Ton-Verarbeiter – sogar über die Grenze der Kreise Altenkirchen und Westerwald hinweg. Und während auf bundespolitischer Ebene seit Monaten gestritten wird, welche Schritte zur Energiewende gangbar sind, sagt Florian Goerg über das neue Projekt, bei dem sein Unternehmen mit MANN und „Maxwäll“ kooperiert: „Es hat keine vier Wochen gedauert, da hatten wir diese für alle Seiten gewinnbringende Lösung schon gefunden und fest vereinbart.“
Uwe Schmalenbach