Man muss sich das einmal einen Augenblick lang vergegenwärtigen. Bier hatte man in der „Westerwald-Brauerei“ zu jenem Zeitpunkt schon seit 137 Jahren gebraut. Doch eines Tages passierte etwas Ungewohntes: Heiner Schneider, zu jener Zeit Chef des Hachenburger Unternehmens, erhielt einen ungewöhnlichen Anruf. Ein gewisser Markus Mann war dran, damals, im Jahr 1998, und er wollte Strom verkaufen. Jedoch nicht irgendwelchen Strom, sondern ausgerechnet „Grünstrom“ – etwas, worüber selbst Interessierte zu jenem Zeitpunkt noch nicht allzu viel gehört hatten.
Schneider nahm das Angebot spontan an. Und wie er, gab auch Friedhelm Haas, 1998 „Abteilungsleiter Sonderverträge“ bei den Stadtwerken Bonn (SWB), dem jungen Energiepionier aus dem Westerwald eine Zusage – beide, Schneider und Haas, gewiss nicht im vollen Bewusstsein für die Tragweiten ihrer Entscheidung. Denn damit legten sie, wie man heute weiß, vor 25 Jahren einen gewichtigen Grundstein, der Manns Arbeit für eine klimaneutrale Energieversorgung wesentlich voranbrachte.
Friedhelm Haas erinnert sich noch immer gut an die vom Verein „Eurosolar“ veranstaltete Konferenz in Bonn. Eine Politikerin der „Grünen“ „schoss“ heftig gegen die erst kurz zuvor in Kraft getretene „Verbändevereinbarung“, die im Gas- und Strombereich den Netzzugang auf dem soeben liberalisierten Energiemarkt regelte. „Da bin ich sauer geworden, habe mich bei der Veranstaltung vorne hingestellt und meine Position dargelegt. Mein ‚Aufritt‘ hatte dem Markus Mann, den ich seinerzeit noch nicht kannte, so gut gefallen, dass er mich in einer Pause ansprach“, schmunzelt er.
Ergebnis dieses ungeplanten Zusammentreffens war kurze Zeit darauf eine Vereinbarung für den Bezug von Ökostrom aus dem Westerwald. „Den haben wir in Bonn dann als ‚BonnNatur Strom‘ vertrieben“, erzählt Haas, „und waren mit die ersten, die nachweisbar 100 Prozent Grünstrom hatten. Zu meiner Freude existiert das Produkt heute noch!“, betont der Pensionär.
1998 war für die gesamte Bundesrepublik Deutschland ein Schicksalsjahr, was die Energieversorgung in den heimischen vier Wänden wie in Gewerbebetrieben anging: erstmals wurde es möglich, einen Anbieter frei auszusuchen! Bis dahin, das erscheint uns heute fast unwirklich, musste man mit dem leben, was der örtliche Energieversorger halt lieferte – selbst wenn es Strom aus Atomkraft oder schmutzigsten Kohlekraftwerken war, eine Wahlfreiheit existierte nicht.
Doch als vor einem Vierteljahrhundert der Energiemarkt durch politische Entscheidungen liberalisiert wurde, war die „MANN Naturenergie“, die Markus Mann bereits 1993 ins Leben gerufen hatte, vom ersten Tag an dabei und bot Stromkunden eine ökologische Alternative an. Hatte am Anfang von Markus Manns unternehmerischem Weg die „MANN Windenergie KG“ gestanden, die im Herbst 1990 gegründet wurde und ihre erste Windkraftanlage im April des Folgejahres in Betrieb nahm, erhielt die drei Jahre jüngere„MANN Naturenergie GmbH & Co. KG“ mit der gesetzlichen Liberalisierung des Energiemarktes in der Bundesrepublik Deutschland anno 1998 erstmals die Möglichkeit, eigenen Ökostrom zu vermarkten.
Friedhelm Haas war zu jenem Moment bereits ein sehr erfahrener Experte. Er hatte in Gummersbach studiert, als diplomierter Ingenieur der Elektrotechnik abgeschlossen und im Anschluss drei weitere Jahre im Oberbergischen gearbeitet. Am 1. April 1974 („Manche sagen, es sei ein Aprilscherz gewesen“, lacht Haas) wechselte er von dort zu den Stadtwerken Bonn, zunächst eben im besagten Amt als Abteilungsleiter Sonderverträge. Später stieg er weiter auf zum Bereichsleiter, erhielt er sogar Prokura seines Arbeitgebers, bei dem er 33 Jahre blieb.
Haas‘ erstes großes Projekt nach dem Wechsel an den Rhein war übrigens die Stromversorgung des neu errichteten Bundeskanzleramtes in Bonn. Offenbar jemand, der auch mit anspruchsvollen, außergewöhnlichen Aufgaben gut zurecht kam.
Heiner Schneider trat 1976 in die „Westerwald-Brauerei“ ein, übernahm 1981 in vierter Generation die Leitung. „Als jungem Pimpf sagte Ihnen Naturschutz und Umweltproblematik damals erst einmal noch gar nichts!“, blickt er zurück. „Aber dann kommen Sie in eine Branche, die ihre Produkte nur mit vier Lebensmitteln herstellen darf – Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Eben entsprechend dem Reinheitsgebot.“
Irgendwann sei ihm klar geworden, führt Schneider aus, dass das Bier nur so gut sein könne, wie es die Natur zulasse. „Und in welchem Zustand die Natur sein wird, hängt von uns Menschen ab – weil wir sie zu stark nutzen, verunreinigen. Bier wird zu über 90 Prozent aus Wasser hergestellt. Und wenn wir merken, dass die Flüsse eine immer schlechtere Wasserqualität aufweisen, zusehends weniger Fische darin sind, dann erkennen Sie, dass damit den Menschen irgendwann die Lebensgrundlage entzogen werden würde und natürlich auch einer Lebensmittelbranche wie den Brauern.“
Heiner Schneider sah, wie der früher boomende Pestizid-Einsatz in der Landwirtschaft die Artenvielfalt bedrohte, bemühte sich um Gerste aus kontrolliertem Anbau und passte dafür die Preise der Biere aus Hachenburg an, um sich die hochwertigeren Rohstoffe erlauben zu können.
Er investierte viel Geld in Gewässerschutz und -aufbereitung, gründete einen Umweltfonds, erhielt 1985 erstmals einen Umweltschutzpreis für die Bemühungen der Brauerei. „Wir sind unter den bundesweit ersten zehn Brauereien gewesen, die bereits 1996 ihr Öko-Audit nach Standards der Europäischen Gemeinschaft ablegten! Ich habe mich zudem dafür eingesetzt, dass wir von Einweg-Gefäßen auf Mehrwegflaschen gegangen sind“, schildert der frühere Brauerei-Chef.
Und dann klingelte eines Tages eben Schneiders Telefon. „Da kam der Anruf von Markus“, erzählt er: „Ich würde dir gerne Naturstrom liefern – würdest du mitmachen?“ Heiner Schneider zögerte keinen Moment: „Sofort!“, antwortete er dem Grünstrom-Pionier.
Örtliche Energieversorger hatten bis dahin, wie überall in Deutschland, genauso im Westerwald ein Monopol gehabt. „Auch deswegen wollte ich ‚MANN Energie‘ unterstützen, um damit etwas gegen die Preisdiktate der bis dato herrschenden Monopolisten zu unternehmen“, erläutert Heiner Schneider trotzig. Ein weiterer Aspekt sei für ihn gewesen, dass MANN ein regionaler Anbieter war. „Hätte mich einer aus Hamburg oder München angerufen, hätte ich möglicherweise auch ‚ja‘ gesagt, aber bei Markus habe ich das mit einer noch erheblich höheren Motivation getan! Ich verkaufe mein Bier im Westerwald, trage ihn im Namen der Brauerei – wenn der Ökostrom, den ich aus Umweltschutzgründen haben wollte, ebenfalls aus der Region kommt, passen da doch Pott und Deckel zusammen. Und das Menschliche spielte zusätzlich mit hinein: Ruft Sie jemand aus einem großen Konzern aus München oder Hamburg an, sind Sie da eine Nummer, kennen da keinen. Also: Mein gewachsenes Umweltbewusstsein, die Liberalisierung des Strommarktes und endlich ein Liefervertrag, der der eigenen Unternehmens-Philosophie entspricht: das alles waren die Gründe für mein ‚Ja‘ an Markus.“
Den regionalen Aspekt stellt Friedhelm Haas ebenfalls heraus: „Ich hätte genauso Strom aus Wasserkraft in der Schweiz oder Österreich kaufen können. Aber das regionale Moment – Strom aus dem nahen Westerwald, den man aus dem Stadtgebiet Bonn beinahe sehen kann –, das war und ist bis heute etwas Besonderes an der Partnerschaft mit ‚MANN Energie‘.“ In den ersten Jahren der Zusammenarbeit fuhr Haas deshalb mehrfach mit Bussen voller „BonnNatur Strom“-Kunden in den Westerwald, um sich dort in Langenbach anzusehen, wie „MANN Energie“ an der Energiewende arbeitete. „Wir konnten den Menschen zeigen, dass das Konzept nicht bloß als Werbung in unseren Papieren stand – man konnte über den Hof laufen, und sich angucken, was wirklich passiert.“
„Genug“ habe es gegeben, entgegnet Friedhelm Haas vielsagend auf die Frage, ob sein Bemühen um die Verwendung von Ökostrom seinerzeit in den SWB Widerstände hervorgerufen habe. Und er verrät: „Plötzlich bekamen wir vom vormaligen Stromlieferanten RWE Angebote, von denen man früher nur träumen konnte. Aber ich konnte unsere Geschäftsleitung letztlich davon überzeugen, dass wir mit dem regionalen Öko-Strom arbeiten.“
Friedhelm Haas war also der geistige Vater von „BonnNatur Strom“, der bis heute genutzt wird. Straßenbeleuchtungen, markante Einrichtungen in Bonn wie der UNO-Campus oder gleichermaßen das im Jahr von 850.000 Menschen besuchte „Haus der Geschichte“ werden mit dieser grünen Energie aus dem Westerwald versorgt.
„Wenn ich die beiden nicht gehabt hätte, hätte ich nicht den Mut gefunden, das Projekt Ökostrom-Lieferung direkt zum Endkunden in Gewerbe und Industrie anzustoßen“, gesteht Markus Mann im Jubiläumsjahr. Anfänglich war er verständlicherweise noch ein wenig ängstlich, startete das Vorhaben zunächst mit einem örtlichem Netzbetreiber. Zehn Jahre erfolgte der Stromvertrieb gemeinsam, „bis wir die Erfahrung und das passende Know-how hatten“, sagt Mann. „Dann hatte ich das Glück, einen Koblenzer Mitarbeiter zu bekommen, den Reinhard Weiß.“ Der ist heute ebenso Rentner wie Heiner Schneider und Friedhelm Haass und habe Mann in den wandelvollen Zeiten in seiner Idee vorangebracht und sehr beharrlich daran mitgearbeitet.
1998 hatte Markus Mann sieben oder acht Mitarbeiter, „und ich habe vielleicht eineinhalb Millionen Umsatz gemacht“, berichtet er. Heute erzielt die MANN-Gruppe im Bereich der Erneuerbaren Energien 100 Millionen Umsatz mit 100 Mitarbeitern. Aus dem Vorhaben, mit eigenen Ideen die Energiewende voranzubringen, ist in diesem Vierteljahrhundert also wahrhaft etwas geworden – auch dank der 1998er Entscheidungen von Haas und Schneider, die kaum geahnt haben können, welche Tragweite ihr Entschluss einmal haben würde.
Denn letztendlich hat ihre Unterstützung einer Idee, die mancher Zeitgenosse vormals noch als „grüne Spinnerei“ abgetan hatte, dazu geführt, dass „MANN Naturenergie“ bis zum heutigen Tag weiter an der Energiewende arbeiten konnte und inzwischen einige Tausend Menschen mit sauberem Ökostrom versorgen kann, der unter anderem vom „TÜV Süd“ zertifiziert ist. Der wacht unabhängig darüber, dass keine Mogelpackung verkauft und in Wahrheit Strom lediglich bilanziell als „öko“ umetikettiert, sondern ausschließlich echter, also physikalisch-gekoppelter Ökostrom geliefert wird. Das bestätigt ebenfalls das Label GSL.
Heiner Schneider nickt zustimmend: „Damit haben wir einem jungen Mann den Mut gegeben, um sein Vorhaben wirklich zu probieren, ja. Unsere Vereinbarungen haben ihm die Hoffnung gegeben, dass es Menschen gibt, die mit dem Herzen hinter der Idee stehen.“ Friedhelm Haas ergänzt: „Ohne solche Unterstützer hätte er die an sich ja völlig richtige Idee aus wirtschaftlicher Sorge vielleicht wieder eingestampft. Heute wäre ein Start wesentlich leichter, weil sich vieles auf dem Sektor etabliert hat, Grünstrom ist normal. Aber damals… Ich bin angeguckt worden, als ich mit Grünstrom aus dem Westerwald ankam…“, lacht der frühere SWB-Mitarbeiter.
Uwe Schmalenbach